Fachverband für Goju-Ryu Karate
Redaktion     Freitag, 01. Februar 2019    

Welcome to KNX18: Okinawa Edition

Ein Reisebericht von Gerd Neuland, Januar 2019

KNX – das steht für Karate Nerd Experience, ein seit 2014 einmal jährlich stattfindendes Karate Seminar veranstaltet von Jesse Enkamp. Jesse ist ein bekannter Internet Blogger aus Stockholm, Schweden, der mit seinem Bruder Oliver quasi im elterlichen Dojo aufgewachsen ist. Er startet noch aktiv bei Meisterschaften. So hat der zum Beispiel beim 1. Internationalen Karate Turnier auf Okinawa 2018 den 2. Platz in Kobudo mit dem Bo erreicht. Mit der finnischen Nationalmannschaft bereitet er sich aktuell auf eine mögliche Teilnahme an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio vor.

Nach 35 Jahren Karate kann ich mich – denke ich – durchaus als Karate Nerd bezeichnen und da meine Frau noch auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für meinen 50. war, ergriff ich im Juni letzten Jahres die Chance und meldete mich kurzfristig zum KNX 2018 in Naha, der Hauptstadt von Okinawa – dem Geburtsort des Karate – an.



Der Seminarreihe liegen zwei wesentliche Elemente zugrunde: zum einen soll den Teilnehmern eine Möglichkeit gegeben werden, aus den „Zwängen“ ihrer jeweiligen Stile über den Tellerrand zu blicken und unterschiedlichste Facetten des Karate kennenzulernen. Zum anderen finden alle Teilnehmer in ihrer Begrüßungstasche neben einem T-Shirt, einem genauen Zeitplan und anderen Utensilien einen pinken Gürtel („momo-iro“). Damit soll gewährleistet werden, dass alle unvoreingenommen miteinander trainieren können, ungeachtet welche tatsächliche Graduierung sie in ihrem Karatestil innehaben. Durch eine vielseitige Auswahl an Karate-Experten soll ein 360 Grad Blick auf das Karate gegeben werden.

Das Seminar wird auf grob geschätzt 50 Teilnehmer begrenzt und wird von Karatekas aus über 25 Ländern besucht. In diesem Jahr u.a. aus USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Taiwan, Rumänien, Dänemark, Italien, Frankreich, England, etc. – Deutschland nicht zu vergessen.

Und so ging es für mich am ersten Weihnachtsfeiertag um 06:00 Uhr morgens los. Mit kurzer Zwischenstation in Osaka ging es direkt nach Naha, Okinawa. Um genau zu sein, musste ich, da der Flug nach Japan 45 Minuten Verspätung hatte, in Begleitung eines flight attendants im Laufschritt innerhalb einer halben Stunde meine Anschlussflug erreichen; inkl. baggage claim, immigration und erneuten check-in. Schlussendlich saß ich 5 Minuten vor Abflug auf meinem Platz und sogar meinen Koffer konnte ich am Flughafen in Okinawa in Empfang nehmen. So kam ich also amFolgetag doch noch pünktlich um 12:40 Uhr auf Okinawa an. Entspannt ging es dann mit dem Monorail-Zug in Richtung Kokusai-Dori, der zentralen Einkaufsstraße in Naha, zum gebuchten Hotel. Hier traf ich dann – dank Dauerregen frisch geduscht – pünktlich auf die Minute um 14:00 Uhr zum Check-In ein. Ab 19:00 Uhr ging es mit einem ersten Treffen in der Dojo-Bar offiziell los; man lernte sich gegenseitig kennen und traf schließlich um 20:00 Uhr im gegenüberliegenden Asato-Dojo erstmals auf Jesse, der mit Unterstützung seines Bruders Oliver, seiner Mutter, seiner Freundin Louise, dem deutschen Fotografen Matthias und dem Dojo-Inhaber James-San die Begrüßungstaschen mit unserem rosa Gürtel verteilte. Alle offenen Fragen wurden geklärt. Ein Geheimnis blieb allerdings unsere letzte Trainingseinheit am Strand im Norden von Okinawa; denn hier wussten wir nur von einem „secret sensei“. Nach einem langen Tag ging es zurück ins Hotel.

Der nächste Tag startete im Hotel mit einem riesigen japanischen Frühstücksbuffet mit ausreichender Auswahl auch für europäische Gaumen. Um halb neun ging es gemeinsam mit dem gecharterten Bus zum Karate Kaikan. Das Karate Kaikan ist ein in 2017 eröffnetes Karatedojo mit Platz für vier Kampfflächen im Hauptraum, mehreren Neben-Trainingsräumen, Seminarräumen und einem Karate- Museum. Die im Hauptdojo komplett in Holz gehaltene Ausstattung ist schon beeindruckend und kann unter http://karatekaikan.jp/en/about/ näher betrachtet werden.

Am ersten Trainingstag waren zwei Einheiten à 3 Stunden geplant. Die erste leitete Jesse Enkamp. Thema war Stockkampf, wobei wir nach dem Aufwärmen mit dem Bo und Einzeltechniken in eine Partnersequenz einstiegen, die wir bis zum Ende der Einheit Schritt für Schritt ausbauten. Hier waren vor allem die fachlichen aber auch didaktischen Fähigkeiten von Jesse beeindruckend. Nach einem japanischen Lunchpaket in der Mittagspause ging es zu Fuß auf eine kleine historische Sightseeingtour. Geführt von Asato-Dojo- und Dojo-Bar-Besitzer James-San besichtigten wir das Kriegsmuseum mit Begehung des militärischen Tunnelsystems aus dem 2. Weltkrieg. Im Anschluss haben wir uns die Einführungsvideos im Karate-Museum angesehen und die diversen Exponate wie Waffen, Schriftstücke, Trainingsutensilien begutachtet.

Zur zweiten Einheit war Yoshio Kuba, 10. Dan Goju Ryu, angekündigt. Er ist direkter Schüler von Seikichi Toguchi [1917-1998], der wiederum unter Chojun Miyagi [1888-1953] und Seiko Higa [1898-1966] trainierte. In seinem Programm führte Sensei Kuba durch Kihon Techniken, die Kata Saifa und zugehöriges Bunkai. Hier waren schon kleine Abweichungen zu unserem JKF aber auch zum okinawanesischem Verband OGKK zu erkennen. Aber nichts, was sich im Rahmen des Trainings nicht direkt umsetzen ließ. Für den Abend wurde eine Gartenparty mit Buffet im chinesischen Garten von Okinawa organisiert, zu der auch Kuba Sensei mit einer Schülerin für Gespräche zur Verfügung stand und ein paar Pressefotos für einen Zeitungsbericht über das KNX Seminar geschossen wurden.

Für den zweiten Tag war ein ähnlicher Ablauf geplant: zwei Trainingseinheiten und dazwischen Mittagessen und eine Bus Tour zum Shuri Castle. Die Vormittags-Einheit hielt Uechi Kanji – der direkte Nachfolger in 4. Generation von Kanbun Uechi [1877-1948] dem Gründer von Uechi-ryu. Uechi führte uns in die Schwerpunkte seines Familien-Stils ein, der hauptsächlich auf körperliche Abhärtung und Kata Sanchin (mit offenen Händen und etwas anderem Ablauf) basiert; zum Abschluss haben wir uns mit dem Ablauf einer weiteren Uechi-Ryu Kata beschäftigt – schon etwas ungewohnte Bewegungsabläufe.

Am Nachmittag trainierte uns Oliver Enkamp, der Bruder von Jesse, der mittlerweile als professioneller MMA Fighter unterwegs ist. Hier standen unterschiedliche Situationen im Bodenkampf auf dem Programm.
Am Samstag, den dritten Seminartag, starteten wir mit einer Walking Tour durch Naha City, auf der wir unter anderem den Gedenkstein von Miyagi Chojun und Higaonna Kanryō besichtigten. Um 12:00 Uhr begann unsere letzte Trainingseinheit im Karate Kaikan mit Koiichi Nakasone, 9. Dan. Er betreibt mit Shuri-Te wirklich old- school Karate aus der Zeit bevor moderne Stile entstanden sind. In seiner Einheit haben wir überwiegend Partnerübungen auf Basis von Tai Sabaki praktiziert.

Nach dem Training machten wir uns mit dem KNX-Bus auf den Weg in den Norden Okinawas – in das ca. 100 km entfernte Okuma Beach Resort. Hier stand zunächst am Abend die Sayonara Barbeque Party am Strand an – nach japanischer Sitte mit abruptem Ende nach den geplanten 2 Stunden.

Am nächsten Morgen absolvierten wir ab 06:00 Uhr unser letztes offizielles Training.
Direkt am Strand unter der Leitung des Kung Fu Shifu Yosida Nantsugu der ursprünglich
aus Okinawa stammt und seine Wurzeln auch im Goju Ryu hat. Auch wenn die vielen
weichen Bewegungen oft etwas ungewohnt waren, waren hierbei durchaus Gemeinsamkeiten in den Techniken und Partnerübungen zu sehen – insbesondere Go und Ju Elemente. Nach dem Training ging es dann zum abschließenden gemeinsamen Frühstück und danach wieder zurück nach Naha, wo die ersten schon ihre Rückflüge antraten. Ich selbst blieb eine weitere Nacht und absolvierte am Abend mit ca. 20 verbliebenen Teilnehmern noch ein zusätzliches Training im Asato-Dojo mit unserem Kung Fu Meister und verabschiedete mich zu guter Letzt wieder in der altbekannten Dojo-Bar.

Am Montagmorgen ging es um 6:00 Uhr wieder los Richtung Flughafen, so dass ich – dank der Zeitversschiebung – abends pünktlich zur Silvesterfeier zuhause sein konnte.
Alles in allem war es ein sehr kurzweiliger Aufenthalt mit einem wirklich gut organisierten Seminar, das viel Abwechslung bot, einem bestens ausgewählten Trainerstab und der Möglichkeit, Karate Nerds aus verschiedenen Ländern kennenzulernen. Hervorzuheben ist auch noch die Freundlichkeit, mit der einem die Trainer aus Okinawa begegneten. Mata ne Okinawa.